Einige Gedanken zur Zukunft des Buches

Als Historiker wage ich zu behaupten, dass das Internet neben dem Penizillin und vielleicht der Atombombe die bedeutendste Erfindung des vergangenen Jahrhunderts ist. Es macht die Kommunikation einfacher und erlaubt uns fast jederzeit ohne große Verzögerung auf eine unglaubliche Fülle von Daten zurückgreifen zu können. Doch die Wirklich große und vielleicht großartigste Neuerung die uns ,das Netz‘ bringt wird erst in den nächsten Dekaden richtig zum Tragen kommen. Es wird Angebot und Nachfrage auf eine Art und Weise zusammenbringen, wie wir es uns bis vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen konnten. Dabei wird es alte machtvolle Marktinstitutionen niederreissen und dem Konsumenten sehr viel mehr Einfluss gewähren.

Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung wird der Buchmarkt abliefern. Wenn ich heute ein Buch veröffentlichen will, dann schick ich es an ein duzend Verlage. Mit sehr viel Glück bietet mir einer dieser Verlage an, es zu veröffentlichen, allerdings unter den Bedingungen, die sie diktieren. Dass kann heissen, dass ich möglicherweise kontroverse Textstellen aus dem Buch entferne, kann aber auch heissen, dass ich mich selbst finanziell an dem Risiko beteilige und einige Tausend Franken in das Projekt einschiesse. Kurz: Heute sind es die Verlage die bestimmen was gedruckt wird und folglich auch, was der Konsument zu lesen bekommt.

Nun kommen aber die E-Reader ins Spiel. Viele Verlage entscheiden sich, manche ihrer Bücher als digitale Version anzubieten, damit man sie auf einem Kindle oder einem Tablet-PC lesen kann. Wieso sollten sie das auch nicht machen, schliesslich ist der Kapitalaufwand um einen Text in diese Form zu bringen extrem gering und das Vertriebsnetz ist via diverse Online-Stores sowieso schon gegeben.

Der nächste Schritt ist einfach. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis Autoren dazu übergehen, ihre Werke direkt als E-Reader zu vertreiben, anstatt den Umweg über Verlage zu nehmen. Und wenn sich das beginnt durchzusetzen, wird das Ganze ein neues Spiel. Die Vielfalt an Texten die dem Konsument zur Verfügung stehen wird ungemein zunehmen. Und diejenigen Texte, die am meisten Zuspruch von den Konsumenten finden, werden dann auch gedruckt, allerdings zu den Konditionen des Autors und nicht des Verlages.

Um diese Gedanken zu einem sinnvollen Abschluss zu bringen: Dem Buch stehen als Kulturgut phantastische Zeiten bevor. Es wird Bücher geben, die wir uns vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen konnten. Bücher für extrem kleine Zielgruppen, die als Druckversion wirtschaftlich keinen Sinn machen würden. Oder Bücher mit extrem skurrilen oder provokativen Inhalten, welche von keinem Verlag je publiziert worden wäre.

Die Buchpreisbindung wird diese Entwicklung höchstens ein wenig behindern, aber nicht aufhalten können. Die Verlage werden damit vielleicht noch etwas länger an ihrer Machtposition festhalten können. Eventuell werden sie diese Buchpreisbindung vorschieben um zu versuchen, digitale Veröffentlichungen von ,freien Autoren‘ in der Schweiz zu verzögern. Aber zumindest werden sie durch ihr Kartell versuchen, noch ein letztes Mal den Schweizer Konsumenten zu schröpfen, bevor sie ihre sehr viel unbedeutendere Aufgabe als ,Druckergehilfen der Autoren‘ antreten.

Mit Sowjetheidi gegen den freien Markt

Seit ein paar Tagen sind sie an diversen Bahnhöfen anzutreffen, die Plakate der Befürworter der Buchpreisbindung. Unter einem grossen „Ja zum Buch“ finden wir ein kleingedrucktes „mit Preisbindung“, gerade so, als ob die Plakatdesigner selber wissen würden, dass sie sich eigentlich für ihre Forderung schämen sollten. Daneben finden wir einen jungen Menschen, von nicht genauer definiertem Geschlecht, in einem Heidi-Cosplay-Kostüm. Ich werde diese Gestallt deshalb auch einfach Heidi nennen. Der Haltung nach ist Heidi gerade einem sowjetischen Propagandaplakat entfleucht. Allerdings hat ihr jemand die Kornähren und die Sichel abgenommen und ihr dafür vier Bücher gegeben. Seltsamerweise streckt Heidi eines dieser Bücher geschlossen über den Kopf, anstatt darin zu lesen. Das legt den Verdacht nahe, dass die Plakatdesigner selbst auch noch nie ein Buch aufgeschlagen haben, um darin zu lesen, der Rest des Plakates liegt es zumindest nahe.

Plakat der Befürworter der Buchpreisbindung (http://www.ja-zum-buch.ch/)

Quelle: http://www.ja-zum-buch.ch/

,Buchvielfalt anstatt Discounter-Einheitsbrei‘ steht da. Die Logik dahinter wird nicht weiter erläutert, währenddem Geißbock Zottel und der Geissenpeter auch panisch versuchen von dem Plakat zu fliehen. Die Implikation der Behauptung ist: Wenn es keine Buchpreisbindung mehr gibt, werden in den Buchläden nur noch die Bücher verkauft, die auch gekauft werden. Was soll das für ein Argument sein. ,Migros verkauft nur Produkte die tatsächlich gekauft werden. Das müssen wir verhindern!‘

Und das ist erst die Hälfte des Unsinns. Zu diesem ,Nicht-Problem‘ schlägt dieses Plakat auch gleich noch eine ,Nicht-Lösung‘ vor. Sie haben nämlich das Gefühl, das wenn die Buchläden die Hoheit über den Buchpreis verlieren, sie automatisch Bücher in ihr Sortiment aufnehmen, welche sich nicht gut verkaufen lassen. Muss ich dazu als Blogger wirklich noch eine Erklärung abliefern, wieso das keinen Sinn macht?

Tatsache ist, dass das Sortiment eines Buchladens entscheidend dafür ist, ob dieser Buchladen ein gutes Geschäft macht oder nicht. Daran ändert eine Buchpreisbindung nichts. Ich gehe in den Clio in Zürich, weil die normalerweise jedes Buch das ich brauche an Lager haben.

Was Vielfalt angeht ist das Internet schlichtweg der Buchladen mit am meisten davon. Eine Interessengemeinschaft, deren eigentliches Ziel es ist, den Schweizer Kunden von Amazon und Co. abzuschneiden hat darum einfach nicht das Recht, mit ,Büchervielfalt‘ zu werben. Und das stört mich an dem Plakat am meisten. Es ist etwa so, als ob die SVP für eine Ausschaffungsinitiative mit der Behauptung werben würde, sie würde die Schweiz als Weltoffener erscheinen lassen. Armes Sowjetheidi.